Hinter den Worten

Kafkaeske-Texte

Reise zum Turm

Der alte Mann blickte sich im Spiegelbild des Schaufensters an. Er trug einen mottenzerfressenen Pullover in einem schmoddrigen Braunton, der sein ungepflegtes Aussehen vollständig machte. Er machte sich nicht viel aus Äußerlichkeiten, bewegte er sich doch ohnehin nur in der Dunkelheit verlassener Gassen und Gänge am späten Abend eines jeden Tages. Sobald die Sonne am Morgen wieder aufging, verschanzte er sich wieder in seinem Turm, von dem er unentwegt träumt, während er unter seiner Brücke auf kalten Steinen fröstelte und sich wünschte, ihm wäre in der letzten Nacht nicht die kratzige, dennoch wärmespendende Decke geklaut worden, die ihn an diesem Novemberabend noch vom eiskalten Gruß der Todesengel bewahrt hätte. „Ich bin zuhause, ich habe es in den Turm geschafft!“ rief er, als er die massive Holztür seines jetzigen Zuhauses aufdrückte. Mit Tränen in den Augen stellte der Mann jedoch fest, dass er dort oben ganz alleine war.

Raupen

Mit weit aufgerissenen Augäpfeln, in denen man die roten Adern schon sehen konnte, blicke ich nun auf mein kleines süßes Tierchen, dass auf meinem sonst so ordentlichen Schreibtisch lag. Seit Jahren beschäftige ich mich schon mit den faszinierenden Raupen, ich mache regelrecht Jadg auf sie, mittlerweile. Ich fange sie ein und sortiere sie vorsichtig. Besonders schöne Exemplare notiere ich mir in meinem kleinen Samtbüchlein mit roter Färbung. Die anderen lasse ich in einem anderen Raum. Ihr Aussehen sowie ihr Name sind keiner Erinnerung wert. Zurück zum Tier. Ich stelle sie meistens an einer Pinnwand zur Schau. Mit viel Liebe und Fingerspitzengefühl verziere ich den Rand der Bilder und beschrifte sie: Der Name, das Alter, der Fundort, das Datum des Fundes und das Datum der Metamorphose. Ein einziger Blick genügt und mein Tag wird direkt besser. In letzter Zeit jedoch muss ich feststellen, dass Raupen immer seltener werden. Wo sind denn die Raupen hin? Warum sind sie weg? Ist das denn meine Schuld? Ich gebe ihnen doch Essen und ich pflege meine Hände, warum mögen sie mich denn nicht? Es klopft. Was ist das? Es reißt mich aus meinen furchtbaren Gedanken. Begleitet wird das Klopfen von Stimmen, die immer lauter werden. BEI GOTT, SIE STEHEN VOR MEINER TÜR! Man hatte mich also doch... entlarvt. Wer hätte das gedacht? Mein Körper wird trotz schnellem Atem immer ruhiger. Ein fast erreichter Stillstand. Fast. Meine Hand gleitet in die Schublade und holt eine Spritze heraus. Ich zögere nicht. Ich ramme sie mir in den Unterarm, wo sie auch bleibt, denn ich bin zu schwach, sie noch zu entfernen ist ein nie wahrgwordener Traum. Es ist schade. Zu schade. Die Stimmen werden dumpfer. Ich lehne mich zurück. Meine Arbeit? Getan. Als die Polizei die Tür einbrach und das Büro betrat, kam jede Hilfe zu spät. Keiner der sich im Raum befindenden Menschen lebte noch.

Kafkaesk

Johann B. ging durch die Stadt, in der die Häuser sich zu ihm neigten. Er warf immer und immer wieder einen kontrollierenden Blick hinter sich, doch da war niemand. Keine Menschenseele ging den gleichen Weg wie Johann B. Als er schnellen Schrittes und mit dem Gefühl verfolgt zu werden, um die linke, dann um die Rechte und dann wieder um die linke Ecke ging, befand sich Johann B. nicht mehr in der Stadt. Er befand sich an einer kaum befahrenen Bundesstraße mit angrenzendem Waldstück. Plötzlich hörte er eine leise Stimme. Er drehte sich um, sah jedoch niemanden, der geredet haben könnte. Als die Stimme sich erneut gemeldet hatte, rannte er zwischen den stetig wachsenden Bäumen hindurch, er rannte und rannte, bis er nicht mehr konnte. Als er stoppte und sich umsah, befand er sich in einem Zimmer, in dem auf dem Boden eine Menge Kinderspielzeug lag und in dem die Decke des Bettes zerknüllt auf dem weißen Laken lag. Er ging aus dem Zimmer und fand sich in einem ihm irgendwie bekannten Flur wieder. Johann B. blickte in den an der Wand hängenden Spiegel und erschrak sich. Das war er in Kinderjahren, in seinem gestreiften Lieblingsschlafanzug. Als er rausging und seinen geliebten Garten mit Schaukel, Sandkasten und Blumenbeet betrachten wollte, stand er plötzlich auf einer Lichtung des Waldes, durch den er vorher gerannt war.